OFFENER (Protest) BRIEF
Berlin | 07. November 2024
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Kai Wegner,
sehr geehrter Herr Bürgermeister und Senator Stefan Evers,
sehr geehrte Frau Senatorin Katharina Günther-Wünsch,
sehr geehrter Herr Staatssekretär Falko Liecke,
sehr geehrte Frau Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger,
sehr geehrter Herr Bezirksstadtrat Christoph Keller,
sehr geehrte Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses,
sehr geehrte Bezirksverordnete aus Berlin-Mitte,
sehr geehrte Damen und Herren,
nachdem wir bereits im Frühjahr 2024 u.a. mit einem offenen Brief und diversen Protestaktionen im
Schulterschluss mit vielen Trägern uns gegen drohende Kürzungen zur Wehr setzen mussten,
befinden wir uns nach nur wenigen Monaten in der gleichen katastrophalen Lage: Erneut drohen der
Kinder- und Jugendhilfe Kürzungen und damit verbunden die Reduzierung von Leistungen nach §11,
§13.1 und §16.
Wir nehmen wahr, dass die aktuelle Situation durch das von der Senatsverwaltung für Finanzen
gegenüber allen Berliner Bezirken ausgesprochene Verbot von jeglichem Verwaltungshandeln, das im
Zusammenhang mit der Bewilligung von Zuwendungsbescheiden und Zuwendungsverträgen steht,
deutlich erschwert wird. Hinzu kommen die hohen Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung sowie die
Vorgabe von pauschalen Minderausgaben, die mit der Aufstellung des Landeshaushalts begründet
werden. Wir erkennen an, dass der Bezirk unter diesen schwierigen Voraussetzungen um
Transparenz und eine Beteiligung von Leistungserbringer*innen bemüht ist.
Nichtsdestotrotz stellen die damit verbundenen Konsequenzen für betroffene Träger einmal mehr
eine unzumutbare Situation dar. Wurde die existenzielle Gefahr für 2024 gerade erst gebannt,
müssen nun schon wieder Kinder und Jugendliche um für sie essenzielle Angebote fürchten,
Fachkräfte sich um ihre Arbeitsplätze sorgen und Träger um ihre finanzielle Existenzgrundlage
bangen.
Es ist evident, dass die bereits im Frühjahr angeführten Argumente gegen etwaige Kürzungen weder
an Kraft noch an Bedeutung verloren haben. Mit den drohenden Kürzungen verliert der Bezirk:
sich auf Senatsebene für flexiblere Möglichkeiten einzusetzen, um die pauschalen
Minderausgaben auf bezirklicher Ebene zu erbringen.
- niedrigschwellige Angebote, die einen präventiven Beitrag zur Gewährleistung des Kinderund
Jugendschutzes leisten und damit u.a. den chronisch unterbesetzten RSD entlasten und
auch präventiv dazu beitragen, die Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung nicht noch
weiter zu erhöhen, - wichtige Anlaufstellen für Familien, denen wesentliche Unterstützung und Orientierung
verloren geht, - zentrale Orte für Empowerment und Selbstwirksamkeit, die auch aktuellen Phänomenen wie
Vereinsamung und gesellschaftlicher Abschottung begegnen, - spezifische Angebote für besonders vulnerable Zielgruppen, die von Diskriminierung
betroffen sind, - armutspräventive Orte, die Bildungsbenachteiligungen abbauen und damit einen
wesentlichen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft leisten, - hochqualifizierte Fachkräfte, die sich ggfs. anderen Bereichen der Sozialen Arbeit zuwenden oder das Arbeitsfeld ganz verlassen,
- lebendige und funktionierende Netzwerke, die in ihrer Vielfalt wichtige Bausteine in den Präventionsketten besetzen und zur Sicherung des sozialen Friedens in der Stadt beitragen.
In der Zwischenzeit wurde der 17. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung veröffentlicht, der
deutlich macht, dass Kinder und Jugendliche sich übersehen bzw. zu wenig beteiligt fühlen und einen
eher pessimistischen Blick in die Zukunft werfen. Der Bericht hat vor diesem Hintergrund eine
wichtige Botschaft: Um in Krisen zuversichtlich zu sein, brauchen Kinder und Jugendliche verlässliche
Vertrauenspersonen und stabile Strukturen, denn Vertrauen und Zuversicht entstehen auch durch
Erfahrungen, beteiligt zu werden. Genau hierfür braucht es keinen Abbau, sondern vielmehr noch
einen Ausbau von bestehenden Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe. So kann potenziellen
negativen Folgeerscheinungen wie etwa Bildungsabbrüchen, Jugendarbeitslosigkeit, etc. frühzeitig
und professionell begegnet werden, um damit nicht zuletzt auch volkswirtschaftliche Kosten zu
reduzieren.
Wir bleiben zudem bei unserer grundsätzlichen Haltung: Einsparungen in der Kinder- und Jugendhilfe
und der Familienförderung und die damit verbundene Reduzierung bzw. der Wegfall von Angeboten
stellen einen gravierenden Verstoß gegen die Versorgungspflichten des SGB VIII und das Kinder- und
Jugendfördergesetz sowie das Familienfördergesetz dar und sind nicht akzeptabel. Alle betroffenen
Einrichtungen sind mit all ihren Angeboten #unkürzbar!
Vor diesem Hintergrund fordern wir Sie als politische Entscheidungsträger*innen auf:
- umgehend eine Entscheidung zur quantitativen und qualitativen Absicherung der Kinderund
Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und der Familienförderung herbeizuführen, die
keine Kürzung der bisherigen Angebote zur Folge hat, - die freien Träger weiterhin in die Lage zu versetzen, ihre Mitarbeiter*innen tarifgerecht zu
vergüten sowie sich auf Landesebene für die Finanzierung der Hauptstadtzulage für freie
Träger einzusetzen, - das Kinder- und Jugendfördergesetz und das Familienfördergesetz im gesetzlich
vorgegebenen Umfang umzusetzen, - sich auf Senatsebene für flexiblere Möglichkeiten einzusetzen, um die pauschalen
Minderausgaben auf bezirklicher Ebene zu erbringen.
Im solidarischen Schulterschluss – die unterzeichnenden Bürgerdeputierten des Jugendhilfeausschusses Mitte, die Träger der Jugendhilfe mit den Angeboten nach §11, §13.1 und §16 im Bezirk und Unterstützer*innen aus ganz Berlin.
Den vollständigen Protestbrief, die Liste der Unterschriften, Pressekontakt und die Absender im Namen des Bündnisses finden Sie hier.