AWO Berlin-Mitte unterstützt offenen Brief zum „Rettungsschirm Jugendhilfe“

Stellungnahme der AG § 78 Jugendarbeit/ Jugendsozialarbeit im Bezirk Mitte


Rettungsschirm Jugendhilfe
Eine gesicherte Finanzierung und Berücksichtigung der Mehrbedarfe in der Berliner
Jugendhilfe


Der Senat von Berlin ist mit dem zu beschließendem Haushalt 2024 und 2025 mit der
Notwendigkeit von zu erbringenden Einsparungen in die Verhandlungen gestartet. Diese
Einsparungen können und dürfen nicht in der Jugendhilfe erbracht werden. Ganz im
Gegenteil!
Kinder und Jugendliche waren und sind besonders schwer von den Auswirkungen der
Corona-Krise betroffen. Es müsste nun ein weitergehendes strukturelles Hilfspaket für die
Jugendhilfe geben, auch um die Folgen der Pandemie zu bekämpfen und Kinder,
Jugendliche und Familien zu (unter)stützen.
Hier gilt es der Vereinsamung, der
Depressionsgefahr, häuslicher, psychischer und physischer Gewalt und der Gefahr der
Entdemokratisierung (Zunahme Rassismus, Antisemitismus, Verschwörungsideologien etc.)
junger Menschen und deren Eltern entgegen zu treten.


Diesen Bedarf zur notwendigen Stärkung der Jugendarbeit wurde auf dem zweiten Gipfel gegen
Jugendgewalt am 22. Februar 2023 gesehen und es wurden konkrete Maßnahmen beschlossen. Das
Ergebnis sieht unter anderem eine berlinweite Erhöhung von 1,5 Millionen Euro allein für die
Jugendeinrichtungen vor. Zusätzliche aus der Jugendarbeit kommende Angebote, wie
gewaltpräventive und kiezorientierte Angebote, sollen ebenfalls bedarfsorientiert mit Geldern stark
unterfüttert werden. Daneben sollen spezielle Angebote zur Vermeidung von Jugenddelinquenz
entwickelt und finanziert werden. Des Weiteren soll die sportorientierte Jugendarbeit gestärkt
werden. Ein weiterer Beschluss fordert die Verlängerung von Öffnungszeiten in
Jugendfreizeiteinrichtungen am Abend und an den Wochenenden.


Die Erkenntnisse und Ergebnisse des Treffens würden mit weiteren Einsparungen in der Jugendarbeit
und Jugendhilfe auf bezirklicher Ebene ad absurdum geführt werden. Die Frage ist: Was können wir
in dieser Situation mehr für Kinder und Jugendliche tun und nicht, was können wir zukünftig nicht
mehr tun?


Die Hilfesysteme für Familien, Kinder und Jugendliche sind sehr überlastet (z.B.
Erziehungs- und Familienberatung, Therapieplätze, Kinderärzte, Beratungen), daher
müssen niedrigschwellige und präventive Angebote der Jugendhilfe, wie sie die offene
Kinder- und Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit bieten, unbedingt erreichbar bleiben
bzw. ausgebaut werden.

Die entsprechenden Fachabteilungen benennen sehr deutlich, dass der Bedarf noch nicht die
Bedarfsspitze erreicht hat, sondern dass von einem weiteren Anstieg auszugehen ist.
Im Rahmen des Schutzes vor Kindeswohlgefährdung ist diesem konsequent entgegen zu
treten.
Gesetzliche Grundlagen sind dringend einzuhalten, die Jugendarbeit, ist wie im
Bundesgesetz festgelegt mit einem angemessenen Anteil der Jugendhilfe zu versehen, die
Ausfinanzierung des Berliner Kinder- und Jugendförder- und Beteiligungsgesetz ist sicher zu
stellen.
Die Leistungen nach den §§ 11,13.1 und 16 SGB VIII sind keine freiwilligen Leistungen,
sondern gesetzliche Pflichtleistungen.
Transfermittel dürfen keine Spielmasse der
Haushaltsverhandlungen werden. Dieses muss in den Verhandlungen auch sprachlich
berücksichtigt und angewandt werden.


Der Jugendhilfeausschuss Mitte hat in den letzten Jahren dabei wichtige Schwerpunkte
gesetzt, die nun nicht weiter revidiert werden dürfen. Durch die pauschalen
Mindereinnahmen im Haushalt 2023 ist bereits ein Abbau von Angeboten in der offenen
Kinder- und Jugendarbeit erfolgt, da die Honorarmittel der kommunalen Kinder- und
Jugendfreizeiteinrichtungen und ein Teil der Mittel für die Erholungsreisen gestrichen
werden mussten. Diese Entwicklung darf sich nicht fortsetzen.
Gesetzliche Pflichtaufgaben fallen nicht unter die Haushaltssperre. Seit 1990 ist die offene
Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) nach dem SGB VIII eine gesetzliche Pflichtaufgabe, wie alle
anderen Leistungen aus diesem Gesetz. Deshalb gilt auch für Berlin: „Gesetze werden (vom
Haushaltsplan) weder positiv noch negativ beeinflusst. Gewähren sie Rechtsansprüche, so
müssen diese ohne Rücksicht auf einen Haushaltstitel erfüllt werden. Der Haushaltsplan ist
unter das Recht „subordiniert“ (Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik
Deutschland, Bd. II, München 1980, S. 1209).
Für die Kinder- und Jugendarbeit muss laut SGB VIII ein angemessener Anteil für die Kinderund
Jugendarbeit zur Verfügung gestellt werden (§ 79 Abs. 2). Dieser angemessene Anteil
wurde von der Expertenkommission im 11. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung
klar definiert und vom Bundestag zustimmend zur Kenntnis genommen. Er beträgt
mindestens 15 % der Gesamtjugendhilfe.


Jugendarbeit braucht Verlässlichkeit, Zeit und Anlässe. Politische Bildungsarbeit,
schulische Unterstützung, Krisenintervention, aber auch begleitende Freizeitgestaltung
und Reisen sind wichtig für Kinder und Jugendliche, um die Erfahrungen und Erlebnisse der
Pandemie zu verarbeiten.

  • Für viele Kinder und Jugendliche sind Fahrten, Ausflüge und weitere Angebote der
    offenen Kinder- und Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit die einzigen
    realisierbaren Aktivitäten. Durch die kostenfreien Angebote ist ein kleiner Beitrag zur
    Chancengleichheit gewährleistet.
  • Durch die Pandemie konnten viele Mädchen* sich noch weniger als sonst außerhalb
    des häuslichen Umfelds bewegen. Viele Mädchen* und junge Frauen* dürfen
    Freizeitangebote nur im Schutzraum der Einrichtungen annehmen und damit auch
    das familiäre Umfeld punktuell verlassen.
  • Hoher Medienkonsum und unzählige Verschwörungserzählungen brauchen dringend
    niedrigschwellige Medienkompetenz und Demokratieprojekte in nicht virtueller
    Form. Diese Angebote eröffnen jungen Menschen die Möglichkeit Vertrauen
    aufzubauen und über ihre Ängste, Sorgen, Verwundungen und Nöte zu reden und im
    nächsten Schritt Lösungen für das eigene Leben zu finden.
  • Jugendliche, die weder durch die Schule noch durch die stationäre Jugendarbeit
    erreicht werden können/wollen, benötigen aufsuchende, niedrigschwellige und
    freiwillige Angebote, die langfristig gesichert sind, um den Aufbau eines belastbaren
    Vertrauensverhältnisses möglich zu machen.
  • Jugendliche mit wenig sozioökonomischen Ressourcen erhalten durch den
    aufsuchenden Ansatz im öffentlichen Raum vollkommen andere und schnellere
    Zugänge ins Bildungs- und Hilfesystem.
  • Zudem braucht es weitere Angebote (sowohl in der Jugendarbeit als auch in der
    Jugendhilfe) für queere, trans+ sowie nicht-binäre Jugendliche, die insbesondere von
    Queerfeindlichkeit betroffen sind und somit eine zusätzliche Belastung erfahren
  • Ausbau von rassismuskritischer Jugendhilfe – hierfür benötigt es die Finanzierung
    adäquater Qualifikation, um rassismuserfahrene Kinder und Jugendliche zu stärken
    und den Ausbau von Supervisionsangebote für rassismuserfahrene Fachkräfte
  • Das System Schule ist mit den derzeitigen Aufgaben überlastet – wir brauchen
    zuverlässige Kooperationen in der Jugendhilfe!
    Diese präventiven Angebote sind langfristig günstiger als spätere vielleicht notwendige
    Intervention und Maßnahmen. Kürzungen dürfen gerade nicht da ansetzen, wo die
    Hilfsprogramme, wie etwa die Gelder aus dem Jugendgipfel, extra aufgelegt wurden! Die
    Fachkräfte der Jugendhilfe sind bereit, sich diesen Herausforderungen weiter zu stellen, aber
    ohne eine ausreichende Finanzierung, kann dieses Engagement keine ausreichende Wirkung
    zeigen.

  • Kinder und Jugendliche sind keine professionellen Lobbyisten. Daher muss die Jugendhilfe
    für und auch mit Ihnen laut in der Politik sprechen!
    Schließen Sie sich bitte diesen Forderungen an und machen Sie sich in Berlin stark für eine
    leistungsfähige Jugendhilfe!